brief description: European Cultural Capital Graz / local task / Dom im Berg and Radio Helsinki // space sharing aspects: digital room extension / digital multifunctional hybrid / interspace
Cyberspace!
Rechenmaschinen und Datenspeicher stehen seit Mitte des 20. Jahrhunderts als virtuelle Arbeits- und Lagerräume in Gebrauch. In der Folge finden Datennetzwerke unterschiedlichster Konstruktion als Kommunikations- und Forschungsräume ihre Verwendung. Militär, Wirtschaft und Wissenschaft nutzen diese neuen Möglichkeiten für ihre Zwecke und tragen mit der Erstellung von Anforderungsprofilen zur ständigen Weiterentwicklung von Soft- und Hardware bei. Der Cyberspace ist eröffnet – und alles eilt, ihn in Besitz zu nehmen und zu besiedeln. Was in der bildenden Kunst durchaus schon Realitätsansprüche stellt – medial vernetzte, dezentral organisierte Ausstellungen, die auf ein stark durch die Wechselwirkungen zwischen stofflichem Realraum und virtuellem Aktionsraum bestimmtes Umfeld reagieren – findet in der Architektur noch kaum eine Entsprechung. Will die Architektur ihren Wert als Ausdruck und zugleich Spiegel der Gesellschaft nicht verlieren, ist diese Lücke eines immer mehr an Wichtigkeit gewinnenden Themenkomplexes zu schließen. Vilém Flusser behält mit seiner dringenden Forderung nach neuartigen Häusern und neuer Architektur sicher recht. Das ‚heile Haus‘ mit Dach, Mauer, Fenster und Tür gibt es nur noch in Märchenbüchern. Materielle und immaterielle Kabel haben es wie einen Emmentaler durchlöchert: auf dem Dach die Antenne, durch die Mauer der Telefondraht, statt Fenster das Fernsehen und statt Tür die Garage mit dem Auto. Das ‚heile Haus‘ wurde zur Ruine, durch deren Risse der Wind der Kommunikation bläst. Das ist ein schäbiges Flickwerk. In Zukunft werden Implikationen der telematischen Kommunikation die Konzepte kommender Architekturen bestimmen. Frequenz- und Informationsdichte avancieren zu bedeutenden Entwurfsparametern. Fragen nach der Fassade und nach ihrem Rhythmus verlieren ihre Bedeutung. Digital informierte, schaltbare Wände bedeuten gleichzeitig Raumabschluss und Raumverbindung (ersetzen Wand und Tür), sind beides; natürliche oder künstliche Belichtung (ersetzen Fenster und Leuchte), und sie bilden die Oberfläche der einzelnen Gebäude, ganzer Areale – durchsichtig, durchscheinend, verspiegelt, durch TV, PC oder Internet informiert, bunt oder einfärbig. „More is different“ würde Kevin Kelly dazu sagen.
Hyperhabitat!
In einer Zeit, in der eine zunehmende Medialisierung der Haushalte ebenso unvermeidliche wie nachhaltige Konsequenzen sowohl für das Individuum als auch für den es umgebenden Lebensraum nach sich zieht, sind entscheidende Veränderungen zu bemerken. Einerseits droht dem Einzelnen die unfreiwillige Einsamkeit – in westlichen Städten bilden die Alleinstehenden bereits die Hälfte aller Haushalte – andererseits dringt der öffentliche Raum mittels der Medien in den privaten Raum ein – vor sich den Bildschirm und auf den Ohren den Kopfhörer, statt Bücher und Zeitschriften als Distanzhalter den Laptop und das Mobiltelefon. Abgeschottet von der Nahumgebung, in direktem Kontakt mit dem Fernen, drängt sich die Frage sowohl nach dem Leben im virtuellen Raum, also im Cyberspace, auf, als auch nach einem gemeinschaftlichen Leben und Bauen in Telepolis, wie es Florian Rötzer ausgedrückt hat. Evident scheint die Tatsache, dass der Raum einer Transformation unterliegt, einer Transformation, bei der wir heute von Entörtlichung sprechen – wobei diese Entörtlichung sowohl in der Virtualität als auch in der Materialität ihre Ursprünge und auch ihre Entsprechungen findet.
Artifizielle Landschaften!
Die Frage nach einem zu Hause inmitten einer sich zusehends immer dezentraler organisierenden Mediengesellschaft ist zunächst einmal die Frage nach der Entörtlichung selbst. Und um diese Thematik der Entörtlichung in ihrer gesellschaftlichen und somit auch architektonischen Relevanz behandeln zu können, ist für uns zunächst eine Erforschung des Prinzips Ort von Bedeutung. Eine Möglichkeit dazu ist die Schaffung von Orten – von künstlichen Orten – selbst. Diese Toposbildung lässt in ihrer Vernetzung eine Topografie entstehen, wobei erst diese artifizielle Landschaft den Ort in seiner vollen Komplexität erkennen lässt. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um reale Landschaften handelt oder ob dazu virtuelle Topografien kreiert werden. Besteht Struktur und Poesie der realen Landschaft aus Materialitäten und Entfernungen, wahrnehmbar mit allen Sinnen, so sind das bei der virtuellen Landschaft am Bildschirm Pixel und die Zeit selbst, wahrnehmbar als Farben, Kontraste und Design. Bergspitzen stehen Verlinkungstiefen gegenüber, Flurformen den Dokument- und Dateistrukturen, rhythmische Wiederholung von landschaftsbildenden Elementen den Farb- und Wortrhythmen und Reisegeschwindigkeiten durch diese realen Landschaften sind mit Ladezeiten und Bildaufbau beim Netsurfen vergleichbar. Als einen ersten Schritt zur Erforschung des Phänomens Entörtlichung erachten wir virtuelle Landschaften, gebildet aus Orten, Personen, Dingen, Begriffen, Verben, Zahlen und Zeichen. Virtuelle Regionen zeichnen sich durch eine Vernetzung einzelner Landschaften untereinander und durch Ausblicke, sprich Verlinkungen zu anderen Orten des Internets und durch ihre Oberflächengestaltung aus. Diese Thematik der Entörtlichung und die damit in Zusammenhang stehenden Fragen nach einem zu Hause inmitten einer heimatlosen Architektur wird in Zukunft zur Erforschung und Gestaltung neuer Lebens- und Aktionsräume führen. Die Aufgabe der Konstrukteure und Planer des 21. Jahrhunderts wird es sein, eine Binärwelt zu gestalten – eine weltweite, elektronisch vermittelte Umwelt mit allgegenwärtigen Netzwerken, in der die meisten Artefakte (in jeder Größenordnung, vom Nano-Bereich bis zum globalen Bereich) über Intelligenz und Telekommunikationseinrichtungen verfügen. Diese Hyperwelt wird – laut William J. Mitchell – die landwirtschaftliche und industrielle Landschaft, die die Menschheit so lange bewohnt hat, überlagern und diese schließlich beerben.
Cybercities!
Sarajevo war während der Kriegsjahre eine mediale Stadt, die nach ihren eigenen Regeln funktionierte und die diese Regeln der Welt vorgab. Wenn der Golfkrieg als der erste virtuelle Krieg der Menschheitsgeschichte gilt, dann existierte mit Sarajevo zwischen 1992 und 1996 die erste und bisher einzige virtuelle Stadt der Erde. Im Gegensatz zu den künstlich initiierten digitalen Zweitstädten wie Amsterdam, Tokio, New York und wie sie alle heißen, war Sarajevo einen ganzen Bürgerkrieg lang von der Außenwelt abgeschnitten und trotzdem wie selbst nie und keine andere Stadt zuvor mit der übrigen Welt verbunden. Medial verbunden. Polydirektionalität via ‚Interspace‘. Sarajevo existierte Millionen Mal und das gleichzeitig. Der Ort Sarajevo mutierte langsam zum multiplen Ort Sarajevo. Tausende flüchteten unter Lebensgefahr aus dem eingekesselten Sarajevo, nach Wien, nach Graz, nach München, nach Los Angeles. Sarajevo flüchtete in die Welt, Sarajevo zerstreute sich. Sarajevo, eine entörtlichte Stadt. Der Flüchtling aus Sarajevo in Wien und seine in Sarajevo zurückgebliebene Mutter, die Berliner Journalistin in Sarajevo und ihr Vater in Deutschland, alle hören sie zur gleichen Zeit dieselbe Nachricht von der selben Stimme: „The block of the building of assembly and government of the Republic of Bosnia-Herzegovina will not be rebuilt.“ Sarajevo wurde zur entörtlichten Stadt. Und zwar nicht nur theoretisch, oder für Freaks, oder als Event, sondern alltäglich, jeden Abend, über lange Kriegsjahre hinweg, zu Hause in Sarajevo oder sonst wo auf der Welt, vor den TV-Geräten, den Radios oder am Telefon. Informationen konnten mit Hilfe der Medien, im virtuellen Raum empfangen und gesendet werden. Die Menschen in Sarajevo waren Teil dieser medialen Realität, wussten sie von ihr? Sie wussten! Was sie wussten, können wir heute erst erahnen.
Wirklichkeit versus Beobachtbarkeit!
Wir haben heutzutage Instrumente der Synchronologie, mit denen alle Räume gleichzeitig präsent sind, Räume, die nach Kant eine transzendentale Identität haben, das heißt, Räume sind ein Nichts, sobald wir die Bedingungen der Möglichkeit aller Erfahrungen weglassen und Räume sind mithin die reine apriorische Anschauungsform unseres äußeren Sinnes. Architektur und Städtebau werden zu Disziplinen, die mit diesen Rahmenbedingungen zu arbeiten haben, Bedingungen, die also nicht nur einer Veränderung von Räumen, sondern einer Veränderung der Verfügbarkeit von Räumen bedürfen. Der Übergang von der Handhabung zur Steuerung von Verfügbarkeit von Räumen bedeutet die Auflösung der unmittelbaren Entfernung zu den Dingen. Geht man davon aus, dass Raum als Realraum eine begrenzte Ressource ist, dass der postindustrielle Mobilisierungsprozess seine Grenzen bereits überschritten und das Bedürfnis des Menschen nach Mobilität – das heißt auch imaginierte Abwechslung und Neugierde – eher steigen als sinken wird, stehen wir vor der Notwendigkeit, neue Erlebnisfelder der Lebensraumerfahrung zu erschließen. Diese sind in der neuen digitalen Welt im Begriff zu entstehen, sie taucht aus einer technologisch theoretischen Machbarkeit in eine immer realer scheinende Wirklichkeit. Bildschirme lösen nicht mehr nur Fenster, sondern auch den klassischen Türbegriff ab. Wirklichkeit wird durch Beobachtbarkeit ersetzt.
Teletopologische Transformationen!
Die emportauchende Informationsgesellschaft formiert sich indessen aus Bild-Versorgten und Daten-Informanten. Erst wenn die Bedeutung der Einbringung von Daten-Eigenmitteln als soziokulturelle Chance erkannt und selbstverständlich genutzt wird, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer grundlegenden Änderung im Umgang mit Medienräumen. Besondere Aufmerksamkeit gilt es den von Medienmaschinen transportierten und vom Individuum generierten Inhalten zu widmen, welche die Bedeutungen des ‚Interspaces‘ entscheidend zu beeinflussen vermögen. Aktive Informationsvermittlung (informare, lat.: gestalten) beinhaltet polydirektionale Datengeneration. Die Verfügbarmachung von Räumen könnte auf der Transformation in mediale Daseinsfelder basieren, die eine evolutionäre Behandlung der Phänomenologie der Orte ermöglichen. Mit Hilfe digitaler Informationstechnologie gelingt es, ‚common-spaces‘ zu generieren, sie interaktivierbar zu halten, ihnen Zugang zu isolierten Imaginationsräumen zu bieten und zu erfahren, wie neue Aktionsebenen bereitgestellt werden können, die individuell veränderbar und kollektiv erfahrbar werden. Das Ereignisfeld des Individuums wird in Ebenen transformiert, die durch die zugewandte Aufmerksamkeit von Anderen den Raum zum Gemeinplatz wandeln, ihn weiterentwickeln und nähren, ihn durch intervenierende Prozesse aufwühlen, zu neuen Konstellationen und Ordnungen zusammenfügen, ihn somit zu einem telematischen Ort machen.
Eine neue Architekturrealität!
In Abhängigkeit von diesen Orten schlummert im physikalischen Realraum eine neue stoffliche Architekturrealität mit konfligierenden Funktionen. Hybride Aktions- und Lebensräume warten darauf, in Entsprechung zu einer mobilen Denk- und Reflexionsgesellschaft, in Form von Netzplänen entworfen zu werden. In Wechselwirkung werden digitale Netzentwürfe und stofflicher Realraum einen neuen architektonischen Lebens- und Aktionsraum in Kombination mit neu zur Verfügung stehenden Entwurfsparametern wie Echtzeit, Geschwindigkeit und Szenarien bestimmen. Der ‚Interspace‘ als räumlich direkte Übergangszone wird zur Bühne dieses neuen interaktiven Schauspiels und definiert eine neue Wirklichkeitssphäre. Gesellschaftlich geschiedene Funktionen wie Wohnung, Produktionsstätten, Forschung und Verwaltung, Dienstleistungseinrichtungen, Büros, Konsum, Öffentlichkeit, Kultur etc. können sich wieder in ein transformationelles Gebilde hoher Komplexität verschränken. Gleichzeitig wird die räumliche Dezentralisierung derzeit funktionell voneinander abhängiger Einrichtungen möglich.
Explore!
Parallel zu den bereits existierenden Schnittstellen der digitalen und der analogen Welt wie Fax, Telefon, Fernsehen, und Computerbildschirm ist eine neue Akzeptanz einer digital übertragenen Bild- und Funktionsrealität und deren Wirkung auf den architektonischen Realraum im Entstehen. Durch Echtzeitübertragungen, die ein stehendes Jetzt ermöglichen, entstehen neben neuen menschlichen Kommunikationsformen Parallelschaltungen von Räumen. Das direkte Gespräch, das eine biologische Anwesenheit des Gegenübers erfordert, ist nur mehr eine Kommunikationsmöglichkeit von vielen. Die digitale Welt ist im Begriff, zum neuen Kommunikations-, Erlebnis- und Aktionsmedium des Menschen zu werden. Dass diese neue Form der Interaktion die örtliche Relation des Realraumes auflöst, bedeutet eine Revolution für die Architektur, einer Architektur der örtlichen Entkoppelung, deren Entstehungsparameter neu definiert werden müssen. Welche Architekturentwürfe werden möglich? Welche neuen Funktionszusammenhänge lassen neue Architekturrealitäten entstehen? Es ist der Versuch, durch neue Funktions- und Bildrealitäten und daraus entstehenden neuen Aktionszusammenhängen, dieses neue Feld der Symbiose von digitaler und analoger Welt, welche die Zukunft des Menschen bereits begonnen hat zu beeinflussen, für die Architektur als neuen revolutionären Entwurfsparameter zu erschließen.
Addition!
Der ‚Interspace‘ versteht sich als nur eine mögliche und temporäre Wirklichkeit. Während sich die Bemühungen der Designer des Cyberspace derzeit darauf konzentrieren, den ‚Interspace‘ mit Hilfe von Datenhelm, Datenanzügen und in der Zukunft wahrscheinlich mit direkten Gehirnadaptern auf Null zu reduzieren, werden die Fensterplätze an den diversen Schnittstellen im Hinblick auf ihre architektonische Relevanz kaum beachtet. Der Interspace als Potenzial unendlich vieler Türen. Er ermöglicht, solange der Mensch als biologisches Wesen noch existiert, den in digitalen Bildern vorbeiziehenden Data-Space wahrzunehmen. Doch warum wird bei den Bildern dieser digitalen Welten von virtuellen Räumen gesprochen? Von Räumen zu sprechen, ist sicher unrichtig, wenn man diese als traditionelle, geometrische Räume sieht. Erachtet man aber den Raum als dritte Dimension, aufgespannt durch Zeit und Fläche, so ist die Bezeichnung Raum zwar noch immer verwirrend und nicht eindeutig, aber sehr wohl adäquat. Ein Sehen in diesen technischen Bildern ist ein Filmesehen, ein Filmesehen digitaler Bilder.
Elektronisch generierter Raum!
Der herkömmliche Gebrauch des Realraumes wird überlagert vom Gebrauch eines elektronisch generierten, multisensorischen Eindrucks von Raum. Es entstehen Schnittstellen als Zwischenräume, die nicht nur eine Stelle oder eine Fläche, sondern als Ganzes den physikalischen und intellektuellen Interaktionsraum zwischen Mensch und elektronischer Technik bezeichnen. Durch Überlagerung von realer und virtueller Welt werden Raum und Gegenstand als synthetisch projizierte Gebilde zu einer neuen Wirklichkeitssphäre, zum ‚Interspace‘, eine 3-dimensionale Peripherie, ein Aus- und Eingabeort. Wirklichkeiten, die sich bereits täglich ereignen, im Fernsehen, am Telefon und am PC. Erkenntnistheoretisch haben diese Wirklichkeiten schon lange den Einzug in die Philosophie gefunden, architektonisch wurden sie bis auf wenige Ausnahmen jedoch ignoriert. Diese neuen Wirklichkeitssphären umgeben uns im Grunde bereits seit der Erfindung des Telefons und des Radios. Durch die Telematisierung des Alltags und die Veränderungen in der baulichen Umwelt verflüchtigt sich der Unterschied von Außenraum und Innenraum. Wenn, wie Le Corbusier schrieb, Architektur das großartige Schauspiel von Raum und Licht ist, müssten nicht die zur Verfügung stehenden neuen Wirklichkeiten in diesem Schauspiel als Darsteller Platz finden?
Interspace!
Interspaces sind Vernetzungen zwischen virtueller und materieller Architektur. Mittels Installation von Kameras und Großbildprojektionen, Mikrofonen und Lautsprechern werden via Datenleitung von einander entfernte bzw, physisch getrennte Orte miteinander verbunden. Der Interspace ist eine virtuelle Realraumerweiterung. Interspaces sind Weiterentwicklungen von Interfaces. Während Interfaces die Schnittstellen zwischen Mensch und Computer bilden, sind Interspaces Schnittstellen zwischen Umwelt und Computer. In Erweiterung zu Bildtelefonen oder Onlinekonferenzen werden bei Interspaces nicht nur Bilder (üblicherweise der Köpfe) der jeweiligen Diskutanten übermittelt, sondern Bilder der (gesamten) Räume, in denen sich die Diskutanten, Menschen, Tiere, das Interieur, etc. befinden. Ähnlich der Beziehung zwischen Architektur und Malerei im Barock (Perspektive, Scheinmalerei, Spiegel, etc.) entstehen durch virtuelle Raumübertragungen völlig neue Raumgefüge – die Interspaces. Die Errichtung von Interspaces erschließt neue Aufgabenbereiche für Gestaltung und Technik und bewirkt einen Paradigmenwechsel in Architektur und Bildender Kunst.
Multiinzidente Hüllen!
Gebäudestrukturen werden nicht mehr nur in räumlichen Dichten gemessen, sondern auch in Geschwindigkeiten, Zeiträumen und Kommunikationsfrequenzen. Die bisherige Linearität im ‚Gewohnten‘ wird durch die erweiterte Raumverfügbarkeit, die damit gekoppelte Transformation von Zeit und das Potenzial an individueller Aufmerksamkeit aufgebrochen. Das Agieren im telematischen Aktionsraum stellt uns vor die Notwendigkeit, herkömmliche städtebauliche Grundwerte und Entwurfsparameter wie Dichte, Orientierung, Belichtung, Erschließung, etc. neu zu definieren und um den Faktor ‚Kommunikation‘ zu erweitern. Die Überwindung von realörtlicher Distanz wird sich angesichts der telematischen Verfügbarkeit von Raum stärker differenzieren, das heißt soziale Kontakte können in Frequenzfelder verschiedenster Anwesenheitszustände eingebettet sein. Somit werden Gebäude zu Knotenpunkten in Netzwerken von Daseinszuständen. Hohe telematische und physische Aufenthaltsperioden erzeugen Dichte im kommunikativen wie im räumlichen Sinne. Ähnlich den Strukturen in mittelalterlichen Gebäudekomplexen, in denen verschiedenste räumliche Dichten und Informationsspitzen kumulierten, bezeichnen die nachfolgenden Beispiele räumliche Gebilde, welche durch Kommunikationsinhalte, Informationshäufigkeiten und Nutzungskanons zu multiinzidenten – d.h. mit Ereignissen angereicherten – Hüllen werden. Jede Verfügbarmachung von Raum basiert auf individuellen Vernetzungsmechanismen, welche z. B. in Form von szenarischen Leitbildern, Funktionsdiagrammen oder Schaltplänen erfassbar sind. Abstrahierte Codes, bestimmt durch Geschwindigkeit, Ereignisse und Räume, werden durch speziell entwickelte analoge Versuchsformen zu räumlich fassbaren Zonengruppen.
Kosmisches Gehirn!
Wo Wahrscheinlichwerden den höchsten Grad erreicht, dort, wo es daran ist, ins Wirkliche umzustürzen, spricht man von virtuell, je unwahrscheinlicher die Möglichkeiten werden, desto informativer sind sie, bis sie schließlich an der Grenze zum Unwirklichen angelangen. So sind virtuelle Räume höchst wahrscheinlich werdende Zeit-Flächen-Kontinuen. Der Sinn der digitalen Welt ist zu sein. Damit ist sie im Grunde genommen sinnlos. Ihr Sinn ist es also sinnlos zu sein. Diesen scheinbaren Widerspruch zu akzeptieren ist ein erster Schritt zum Verständnis der digitalen Welt. Anarchie ist sinnlos. Anarchie folgt einer Spielstrategie, die vor allem dazu taugt, Orte für Theismen und Atheismen, für Mythologie und Naturwissenschaft, für Kunst und Ethik zu bilden. Anarchie ist gleichzusetzen mit der Suche und dem Experiment unter dem Vorzeichen der Vielfalt und der Gegensätze. Anarchie ist nicht im Kantschen Sinne Gesetz und Freiheit ohne Gewalt, Anarchie ist quasi jedem Widerspruch sein Topos, oder noch weit mehr als das, denn Anarchie wird aus diesen Gegensätzen erst gebildet. Der Anarchie Sinn ist zu sein. Der Anarchie Sinn ist es also sinnlos zu sein. Das anarchische Sein ist ein sich kybernetisch steuerndes Netz, in welchem nicht mehr die Datencluster selbst, sondern die Simultanität der Polyloge das Konkrete bilden. Es ist ein anarchisches Sein simultaner konterkonsensueller Entscheidungen, innerhalb einer Art kosmischen Gehirns.
VerfasserIn: Natascha Peinsipp // Text & Bild: SPLITTERWERK